28.11.2018 - Seefeld

Die Tourismuswende

Der Wunsch, ökologisch und sozialverträglich zu verreisen ist bei vielen Urlaubern vorhanden. Was können Politik, Reiseindustrie und Kunden tun, damit Tourismus in nachhaltige Bahnen gelenkt wird? Wir sprachen mit Harald Zeiss, Professor für Tourismus und Nachhaltigkeit.

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Der Tourismus ist einer der am schnellsten wachsenden Wirtschaftszweige weltweit – doch er droht aus den Fugen zu geraten. Schon heute sind rund 1,3 Milliarden Touristen jährlich auf dem Globus unterwegs, bis 2030, prognostiziert die Welttourismusorganisation der Vereinten Nationen (UNWTO), werden es 1,8 Milliarden sein. Immer mehr Menschen verreisen immer öfter und immer weiter – dieser allgemeine Trend hat Folgen: Durch die weltweite Mobilität steigen nicht nur die CO2-Emissionen an (allein der Anteil des Flugverkehrs beträgt laut Luftverkehrsbericht fünf Prozent, bis 2050 wird er geschätzte 22 Prozent erreichen), in den Destinationen wird zunehmend Land durch touristische Infrastruktur verbraucht, Wasser wird zur knappen Ressource und der anwachsende Abfall zum Entsorgungsproblem. Tatsachen, die nicht mehr zu übersehen sind: verbaute Landschaften, vermüllte Strände, gesperrte Inseln, protestierende Anwohner. Und vielleicht oft erst auf den zweiten Blick erkennbar: die prekären Arbeitsverhältnisse des Hotelpersonals, Kinderarbeit, Überfremdung und Verlust der kulturellen Identität des Gastlandes.

Das alles lässt so manchen Urlauber nachdenklich zurück, ein Bewusstsein für Nachhaltigkeit und faires Reisen regt sich. Laut Reiseanalyse 2018 der Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen e.V. (FUR) wünschen sich 52 Prozent der Deutschen einen ökologisch wertvollen Urlaub und 60 Prozent möchten sozialverträglich verreisen – zwei wesentliche Aspekte von Nachhaltigkeit. Doch was macht nachhaltigen Tourismus aus? Gemäß der UNWTO muss dieser ökonomische, soziale und ökologische Aspekte gleichermaßen berücksichtigen und dabei die Bedürfnisse aller, die der Gäste, der Industrie, der Umwelt und der Bevölkerung vor Ort mit einbeziehen – gegenwärtig sowie zukünftig. Nachhaltigkeit ist also ganzheitlich angelegt und umfasst mehrere Dimensionen gleichzeitig, was die Sache so komplex macht. Denn so negativ etwa ein emissionsintensiver Tourismus ökologisch zu Buche schlägt, für die Wirtschaft und Gesellschaft eines Landes birgt der touristische Sektor grundsätzlich viel Potenzial: Er kann Natur- und Kulturschätze in Wert setzen und die Bevölkerung in Lohn und Brot bringen. Das zeigt das Dilemma. Eigentlich sollten wir besser auf Flugreisen verzichten, doch gerade für strukturschwache Länder des globalen Südens kann Tourismus eine große Chance sein.

Es kann also nicht darum gehen, gar nicht mehr zu verreisen, sondern darum, die Reisen so zu gestalten, dass schädliche Auswirkungen minimiert und positive Effekte zum Tragen kommen. Wo stehen wir dabei heute? „Es ist in den vergangenen Jahren schon einiges erreicht worden“, sagt Harald Zeiss, Professor an der Hochschule Harz in Wernigerode, wo er den Forschungsschwerpunkt Internationaler Tourismus und Nachhaltigkeit innehat. Der Flugverkehr sei effizienter geworden, Hotels sparten Wasser und Energie, der ökologische Fußabdruck einer einzelnen Reise sinke. „Doch all diese Einsparungen werden durch den wachsenden Konsum wieder aufgehoben, so dass wir weiterhin in der falschen Richtung unterwegs sind“. Doch wie kann umgesteuert werden, wie kann eine Wende hin zu einem zukunftsfähigen Tourismus gelingen? „Die Reiseindustrie hat in vielen Punkten schon reagiert“, so Zeiss. Mittlerweile gebe es eine ganze Reihe von Veranstaltern, die das Thema Nachhaltigkeit in den Mittelpunkt rückten und differenzierte Angebote schafften für eine interessierte Kundschaft, ein entsprechender Markt sei vorhanden. Doch um das unkontrollierte Wachstum des gesamten Sektors zu regulieren, sei in erster Linie die Politik gefordert, sie müsse die Spielregeln festlegen.

Zeiss sieht dabei vor allem die Staaten selbst in der Verantwortung. „Tourismus ist ein Exportgut, die Dienstleistungen werden im jeweiligen Gastland erbracht. Erst, wenn deren Regierungen einen entsprechenden Ordnungsrahmen und Gesetze erlassen, wird die internationale Tourismusbranche diesen folgen, freiwillig kann und wird man sich nicht effektiv selbst beschränken.“ Je mehr Länder verbindliche Regeln zu Arbeits-, Sozial-, und Umweltstandards aufstellten, desto einfacher werde es – denn dann muss die Industrie mitziehen, wenn sie nicht gegen Gesetze verstoßen will. Der Grund, warum sich in der Branche teilweise so wenig bewege, liegt nach Ansicht des Tourismusexperten mitunter darin, dass man auf eine globale Lösung warte, die sich aber nicht durchsetzen ließe. „Es ist eine Frage der nationalen Souveränität“. Mit Ausnahme des internationalen Flug- und Schiffsverkehrs, hier müssten, so Zeiss, länderübergreifende Regelungen getroffen werden, beispielsweise in Form einer CO2-Steuer. Auch die staatlichen Subventionen der Flugbranchen sollten abgebaut werden, da sie sich nicht nur klimabelastend auswirken, sondern auch zu einer Marktverzerrung zu Lasten von Bussen und Bahnen beitragen.  

Doch wie sieht es in Ländern aus, die abhängig von den Devisen des internationalen Tourismus sind oder Probleme mit Korruption haben? „Der Hebel des Tourismus liegt in den Gehältern der Menschen, die in dieser Branche arbeiten“, räumt Zeiss ein. Viele Länder hätten auch Probleme, bestimmte Normen durchzusetzen, weil sie selbst relativ schwach entwickelte Rechtsstrukturen oder aber andere Vorstellungen von Umweltschutz haben. Dennoch gibt es eine Reihe von Instrumenten, die helfen, Tourismus in nachhaltigere Bahnen zu lenken: Steuern, Gebühren, Regulierung des Angebots, Verbote, Anreize, Kommunikation. Viele Länder stellen bereits klare Regeln zum Ressourcenverbrauch auf, sperren sich gegen die Privatisierung ihrer Strände oder den Landverkauf an ausländische Großinvestoren. In Spanien etwa sind Restaurants an Stränden mittlerweile verboten und rückgebaut worden. In dem vom „Overtourism“ geplagten Amsterdam, das unter dem Ansturm zu vieler Gäste leidet, wird ein Übernachtungsbeitrag erhoben, der den Aufenthalt teurer macht und zum Ziel hat, die Nachfrage zu senken. Auf Mallorca fließt eine Ökoabgabe, die von allen Urlaubern entrichtet werden muss, in den Ausbau der Wasserversorgung, einem verbesserten öffentlichen Nahverkehr und die Restaurierung von Wanderwegen. Das alles funktioniere gut, so Zeiss, und komme vor allem auch der Bevölkerung vor Ort zugute. Außerdem trage es zur Sensibilisierung bei. „Touristen müssen eine klare Botschaft bekommen, was umwelt- und sozialverträglich ist und was nicht.“ Das helfe auch gegen Unwissenheit und Ignoranz.  

Und was kann der Reisende selbst dazu beitragen, fair unterwegs zu sein? „Der einzelne Tourist trägt selbstverständlich auch Verantwortung und sollte sie auch ausüben.“ Er kann eine Reiseform wählen, bei denen das Verhältnis von Transportaufwand und Aufenthaltsdauer im Land stimmt. Denn muss ich wirklich übers Wochenende nach Dubai zum Shoppen jetten? Und sollte ich bei meiner nächsten Fernreise nicht lieber auf Inlandflüge verzichten? Viele Kataloge von Reiseveranstaltern bzw. Online-Buchungsportale führen für jede Reiseform detailliert die Transportenergiebilanzen auf – und bieten entsprechende Kompensationsmaßnahmen an. Eine wichtige Orientierungshilfe, doch will der Reisende alle Aspekte der Nachhaltigkeit umfassend berücksichtigen, muss er weit mehr im Blick haben: Wird für die touristische Infrastruktur die Umwelt zerstört oder werden gar Menschen zur Abwanderung gedrängt? Profitiert die lokale Bevölkerung vom Tourismus oder wird sie ausgebeutet? Wie sieht es mit den Menschenrechten aus? Zeiss ist der Ansicht, dass die Vielschichtigkeit des Themas so machen Reisekunden auch überfordere.

Mittlerweile gibt es weltweit mehr als 100 verschiedene Siegel und Zertifikate, die Auskunft über diese Fragen geben sollen. „Zertifikate zeigen, dass touristische Anbieter sich über den gesetzlichen Standard hinaus ökologisch und sozialverträglich engagieren“, so Zeiss. Es sei sehr wichtig, wenn Hotelbetriebe oder Reiseveranstalter ihrer Unternehmensverantwortung, der Corporate Social Responsibility (CSR) nachkommen und sich freiwillig verbessern wollen. „Idealerweise hätte ich natürlich gerne eine Welt, in der gar keine Siegel mehr nötig sind, weil alle nach einem hohen Standard arbeiten.“ Viele blicken im „Labeljungel“ ohnehin kaum mehr durch. Überhaupt klafft zwischen dem Wunsch, nachhaltig zu verreisen und der tatsächlichen Umsetzung oft eine große Lücke – zu diesem Schluss kommt die Reiseanalyse 2014 der FUR, die im Auftrag des Umweltbundesamtes erstellt wurde. Für 42 Prozent der deutschen Bevölkerung ist es zwar wichtig, dass Reiseveranstalter sich in Sachen Nachhaltigkeit engagieren, in Form von Bildungsprojekten, Umwelt- und Artenschutz, aber nur 12 Prozent sind bereit, dafür etwas mehr zu bezahlen. Die Hürden sind vielfältig: Nicht nur die oft höheren Kosten schrecken ab, viele sehen auch ihre Urlaubswünsche nicht flexibel genug umgesetzt. Wolle man erreichen, dass sich mehr Konsumenten für einen nachhaltigen Urlaub entscheiden, müsse der Mehraufwand für sie in einem attraktiven Verhältnis zum Nutzen stehen, so die Studie. Viele Kunden wünschten sich zudem aussagekräftigere Siegel, eine professionelle Beratung durch Reisebüros und umfangreichere Angebote.

„Es gibt viele gute Ansätze und Angebote von Seiten der Reisebranche, doch wir können uns nicht darauf verlassen, dass alle Konsumenten aus freien Stücken einen nachhaltigen Weg wählen“, gibt der Tourismusexperte zu Bedenken. Es möge desillusionierend sein, doch letztendlich müsse man diesen Pfad über ökonomische Regeln einschlagen: Über den Preis, der die realen ökologischen und sozialen Kosten von touristischen Produkten und Dienstleistungen abbilden muss. Nach dieser Logik wäre ein Produkt, das Umwelt und Gesellschaft belastet, entsprechend teurer als ein nachhaltiges. „So lässt sich die Nachfrage steuern, Konsummuster ändern und eine Tourismuswende auch des globalen Massenmarkts herbeiführen.“

Der Studienkreis für Tourismus und Entwicklung e.V. ist Unterzeichner der Präambel Berlin der Agenda 2030, die sich eine zukunftsfähige Tourismusentwicklung und eine Abkehr von rein wachstumsorientierten Strategien zum Ziel gesetzt hat.

Welche Rolle spielen Nachhaltigkeit und CSR in der Reisewirtschaft? Im Interview mit einem international agierenden Anbieter von Beratungs- und Zertifizierungssystemen werden wir uns mit diesem Thema auf unserem Newsportal auseinandersetzen.

Text: Stephanie Arns

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